Welche Worte geben Ihnen und anderen Menschen Kraft und Wärme?
Katerina Vatsella im Gespräch mit Kyungwoo Chun

KV: Du hast zunächst mit Fotografie gearbeitet. Später kamen auch Videos und Performances dazu, die von wenigen oder vielen Teilnehmern nach deinen Anweisungen ausgeführt wurden. In den letzten Jahren hast du deine Arbeit in Richtung Aktion stark erweitert, es sind große Projekte geworden, die sich mit sehr vielen Teilnehmern über einen langen Zeitraum erstreckten. So auch das Projekt DieUnsichtbaren Worte.
Wie siehst Du dieses Projekt im Zusammenhang Deiner Arbeit? Was empfindest du selbst als anders, als neu?

KC: Das Projekt Die Unsichtbaren Worte ist durchaus verwandt mit meinen anderen Arbeiten. Es sind stets ähnliche Aspekte und Fragestellungen, die mich interessieren, unabhängig davon, ob ich Fotografie, Video oder die Möglichkeiten der Performance nutze. Die Wahl der Mittel und des Mediums sind letztlich abhängig von den Umständen und den Notwendigkeiten, von dem, was ich künstlerisch umsetzen will. Anders als bei Fotografie oder Video, geht es hier um ein Projekt, das sehr abstrakt ist. Es kann keine Ausstellung in klassischer Form daraus entstehen, denn hier ist ein wichtiger Teil der Arbeit nicht sichtbar, also gibt es auch nichts zum Zeigen. Und der Ort ist nicht eingrenzbar, das Projekt findet im ganzen Stadtraum statt.

KV: Zwei Elemente scheinen mir immer zentrale Bestandteile deiner Arbeit zu sein: die Zeit, ihr individuelles Erleben, und die Kommunikation, die Spannung, die aus der Begegnung mit den Teilnehmern entsteht. Bei den Performances und Aktionen kommt noch der Ort hinzu, in dem sie stattfinden.
Der Ort hat sich in den Unsichtbaren Worten nun räumlich stark erweitert und nimmt auch eine neue Qualität ein, indem er verborgen bleibt. Wie sieht es mit der Zeit aus? Hast Du das Ganze auf einen Zeitraum limitiert? Wann ist für Dich die Arbeit abgeschlossen?

KC: Ja, das Projekt ist zeitlich begrenzt. Die Umsetzung ist mit zwei Jahren vergleichsweise lang, aber es gibt einzelne Etappen, die teilweise schon abgeschlossen sind. So dauerten die Vorstellung, die im Januar 2011 begann, die interne Diskussion und die Präsentation vor den Mitarbeitern über ein halbes Jahr an, bis am 27. September 2011 die erste Installation realisiert wurde. Bis Ende November 2011 hatten die Mitarbeiter des Unternehmens Zeit, mir ihre Worte zu geben und ihre Anzahl der Antworten wurde auf 100 beschränkt. Und bis Ende 2012 sollen alle Worte unter die Erde verschwinden. Dann ist für mich die Arbeit auch abgeschlossen, wobei der Dialog mit den Menschen unabhängig davon weiter geht.

KV: Die Arbeit besteht natürlich weiter. Und zwar nicht nur die Worte auf den Rohren, so lange, bis sie durch eine neue Baustelle nach vielen Jahren eventuell ausgetauscht werden müssen – auch die wahrscheinliche Irritation der Bauarbeiter, die dann unvermutet darauf stoßen, ist Teil der Arbeit bzw. ihrer Wirkung. Aber sie besteht auch weiter als Thema bei den Mitarbeitern. Bei einem Gespräch über das Projekt bei der swb Netze hat ein Mitarbeiter sehr engagiert darüber gesprochen, man merkte, wie er persönlich involviert war und er dies sehr geschätzt hat.
Wie wurde der Kommunikationsprozess zwischen den Teilnehmern gestaltet? Wie haben sie reagiert?

KC: Alle Mitarbeiter der swb Netze wurden eingeladen, ihre Gedanken aufzuschreiben. Einzelne waren sofort interessiert. Andere waren aus verschiedenen Gründen skeptisch, viele wiederum haben darüber diskutiert, konnten sich aber nicht entscheiden mitzumachen. Das Projekt war für sie vermutlich zu ungewohnt. Bei denen, die teilnahmen, findet sich oft eine Mischung aus Stolz und Freude, im Projekt dabei zu sein, aber auch etwas Sorge, dass Ihnen kein guter Spruch eingefallen ist – obwohl es von meiner Seite keinerlei Wertung gibt.
Viele Teilnehmer fühlen sich tatsächlich persönlich involviert. Sie sprechen von „meiner“ Straße“, wo sich ihr Name und ihre Worte unsichtbar befinden, sprechen mit ihrer Familie und Freunden darüber. Und sie sehen auch sich selbst und ihre Funktion im Unternehmen durch diese Aktion plötzlich ganz anders. Die leblosen Rohre, mit denen sie sich Jahrelang beschäftigten, werden plötzlich fast zu ‚menschlichen Organen’.

KV: Auf dem Stadtplan sind die Standorte der schon geschriebenen Worte zu sehen. Wie entscheidest du, welche Worte an welcher Baustelle verwendet werden? Geht es der Reihe nach, wie sie bei dir eingetroffen sind oder wie wählst du sie aus?

KC: Das mache ich nach dem Zufallsprinzip, es gibt keine Auswahlkriterien. Es gibt sicherlich einige besonders interessante Sprüche, aber im Prinzip sind alle gleichermaßen wichtig und stehen jeweils für einen ganz persönlichen Bezug. Außerdem glaube ich, dass es keinen absoluten Zufall gibt. Wir wissen es nur nicht.

KV: Was bedeutet dir die Kommunikation mit den einzelnen Teilnehmern? Die Begegnung ist bei so großen Projekten ja immer nur punktuell möglich, anders als bei deinen Fotoarbeiten.

KC: Es gibt einen Unterschied zwischen den Fotoarbeiten und den Aktionen. Bei meinen Fotoarbeiten ist die Begegnung sehr intim, sehr persönlich. Die direkte Verbindung und die Zeit, die man miteinander verbringt, sind mir wichtig. Bei den Performanceaktionen ist es anders. Hier bin ich viel distanzierter. Ich formuliere meine Ideen, gebe entsprechende Anweisungen und trete dann wieder in den Hintergrund. Die Teilnehmer sollen von mir als Person möglichst wenig beeinflusst werden. Sie sollen sich vielmehr mit sich selbst und ihrem Umfeld beschäftigen und einen ernsthaften Dialog mit sich selbst führen.

KV: Nimmst du da vor allem die Position des Beobachters ein?

KC: Ja, auf jeden Fall. Das muss ich immer tun. Sonst bin ich emotional zu sehr involviert. Deswegen ist es wichtig, dass ich eine gewisse Distanz einhalte (?) und deswegen habe ich auch Assistenten, die mir bei der Umsetzung der Projekte helfen. Die Kommunikation der Teilnehmer auch untereinander ist bei den Unsichtbaren Worten wichtig. Es geht ja um scheinbar ganz banale Dinge, Alltagsdinge, doch darüber sehen sie plötzlich den Sinn ihrer Arbeit neu. Sonst haben sie ihre Baustellen als Hindernis in der Stadt erlebt, als Störung. Diese Störung ist aber jetzt auch Anlass, die Arbeit anders zu empfinden. Jetzt steht die Bedeutung der notwendigen Reparaturen im unterirdischen System der Stadt im Mittelpunkt, das alle mit Energie beliefert. Es geht in dieser Arbeit im Wesentlichen um den Versuch, eine neue Wahrnehmung zu ermöglichen und das in einer ungewöhnlichen Form, außerhalb der geläufigen Kategorien. Die Arbeit hat keine feste Form. Sie hängt wesentlich vom Zeitraum und dem Erinnerungsprozess der Bürger ab. Man kann hier nicht von Betrachtern sprechen, da man die Arbeit nicht zu sehen bekommt und sehen muss. Es genügt schon, dass man davon hört.

KV: Das Konzept steht, die Teilnehmer haben gehandelt und dir ihre Wörter oder Worte zukommen lassen; diese wurden auf Schriftfolien gedruckt und die ersten Unsichtbaren Worte wurden schon installiert. Man kann den weiteren Verlauf im Internet auf der Webseite des Projektes verfolgen. Bis Ende 2012 werden voraussichtlich noch rund 50 geplante Baustellen erlauben, alle Worte unterzubringen. Diese Anzahl ergibt sich aus durchschnittlichen Berechnungen der swb Netze, wie oft Erneuerungen oder Reparaturen anfallen.
Wie sieht dabei die konkrete Umsetzung aus? Wirst du angerufen und kommst vorbei? Musst du das tun oder kann es auch jemand anderer? Bzw. wie wichtig ist deine persönliche Anwesenheit bei der Umsetzung?

KC: Ich werde benachrichtigt sobald es eine neue Baustelle gibt; ich oder meine Assistenten bringen die bedruckten Folien an die Rohre an und beobachten, wie das Ganze abläuft, auch die Reaktionen der Beteiligten. Meine Anwesenheit ist funktionell nicht wichtig, aber für mich ist es eine zusätzliche Erfahrung, denn ich beobachte immer eine neue Situation an jeder Baustelle und erlebe wie unterschiedlich die Leute damit umgehen. Das ist eine Bereicherung für meine Arbeit und gibt mir neue Inspiration.

KV: Bei vielen deiner Performances mit sitzenden Teilnehmern etwa, hat man das Gefühl, dass dir die Anordnung der Menschenkette, ihre Form, die Komposition auch optisch wichtig ist. Es sind offene oder geschwungene Formen, weiche oder strenge Anordnungen.
Wie wichtig ist dir die formale Umsetzung eines Projektes? Insgesamt und im Detail? Hier z.B. die Typographie der Worte? Was ist dir v.a. wichtig bei der Umsetzung, worauf muss geschaut werden?

KC: Ich glaube, dass es mehr um die Verbindung zwischen meiner Arbeit und den Betrachtern als um ästhetische Formen geht. Entscheidend ist in erster Linie die Raumsituation, in der die Performance oder das Projekt stattfindet. Darauf reagiere ich mit der Anordnung. Ich bin vorsichtig damit, weil ich keine spezifische, kulturell bezogene Assoziation möchte, ich möchte dass sich jeder darin finden kann. Oft ist aber die Durchführung ganz frei und passt sich den Notwendigkeiten an. Wir haben eine lesbare, klare Schrift genommen auf einer Folie, die lange halten soll. Aber sonst spielt die Gestaltung in diesem Projekt keine Rolle, die Umsetzungsform wird vom Inhalt bestimmt und von den Anweisungen, die genau befolgt werden müssen.

KV: Wenn du so eine Arbeit konzipierst, wie wichtig ist denn im Voraus der Raum? Welchen Raum hast du dir bei diesem Projekt vorgestellt? Hier ist doch der Raum ganz offen.

KC: Der Raum ist für mich kein Ort der Präsentation, sondern ein Raum, zu dem die Arbeit einen inhaltlichen Bezug hat und mit dem ein neuer Dialog entsteht.
Der Raum für dieses Projekt ist eben der urbane Raum, das Stadtleben, seine Struktur, dieses komplizierte Energiesystem, das diese Stadt versorgt. Man spricht ja nicht darüber, wenn alles funktioniert. Das ist wie mit dem Atmen, dem Sauerstoff. Man denkt nicht daran, solange es funktioniert. Aber wenn nicht, dann ist es gleich lebensbedrohlich. Die Technik, die im Netzwerk zum Einsatz kommt, ist zwar hochentwickelt, aber es gibt doch manchmal ein Problem. Mein Projekt zeigt, dass ein Problem nicht unbedingt nur negativ sein muss, es ist immer auch ein Anlass, der die Leute zusammenkommen lässt, so dass es auch eine positive Wirkung geben kann. Als Ort habe ich mich für Bremen entschieden, da ich meinen Alltag am meisten hier erlebe und in viele Prozesse einen besseren Einblick habe, obwohl ich häufig in anderen Ländern unterwegs bin.

KV: Wie entstand die Idee zu diesem Projekt? Wie hat das Unternehmen reagiert?

KC: Ich wurde mit den Baustellen konfrontiert und überlegte, was diese Störung im Alltag bedeutet, aber auch sonst bedeuten kann. Ich muss immer einen Bezug für eine Arbeit haben, und an dem Ort, wo ich meinen Alltag verbringe, ist der Bezug natürlich sehr eng.
Das Unternehmen sah das Projekt zunächst von seiner wirtschaftlichen Seite; es wurde kalkuliert, was es kostet, dass es wahrscheinlich nicht produktiv ist und dergleichen. Aber es gab zum Glück auch geistige Verbindung zu Menschen in diesem Unternehmen, die das Projekt für die Mitarbeiter als wichtig erachteten.
Welchen Einfluss es haben kann, das kann man nicht eindeutig benennen. aber es könnte die Produktion sogar viel mehr unterstützen, als nur technische Mittel. So etwas zu sehen, zu verstehen ist sehr schwierig, es hat aber in diesem Fall funktioniert!

KV: Deine Arbeitsweise ist international ausgerichtet, trotzdem gehört die Tatsache deiner Herkunft aus Ostasien, aus Korea, dazu. Sie ist für mich nicht nur in bestimmten Arbeiten, wie „Thousands“ sichtbar, sondern auch in deinem besonderen Umgang mit der Zeit spürbar. Nicht so, wie bei Künstlern, die die Zeit direkt zum Thema ihrer Arbeit machen, z.B. bei On Kawara, aber sie ist als Wesenheit charakteristischer Bestandteil deiner Konzeption.
Inwieweit siehst du selbst ostasiatischen Einfluss auch in einer solchen Arbeit wie die Unsichtbaren Worte? Oder empfindest du sie völlig losgelöst davon?

KC: Ich sehe schon einen Einfluss, ich mag das nur nicht so benennen, denn dann empfinde ich es sehr fremd. Verschiedene Kulturen bestimmen mein Leben und damit meine Arbeit. Ich lebe auch an verschiedenen Orten. Aber natürlich hat es mit mir zu tun, mit meiner Kindheit und mit einem etwas anderen Zeitbegriff, obwohl ich schon seit vielen Jahren in Europa lebe, in Deutschland. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass die Zeit unbedingt eine Richtung hat, dass sie linear verläuft, sondern eher zyklisch. Und mehr intuitiv. Der ursprüngliche Zeitbegriff, der mir nah ist, war auch in Korea ziemlich naturverbunden. So gab es z.B. früher dort ein anderes Zeitsystem, bis ins 16./17. Jh., ein 12 Si-Jin - (Etwa wie Stunden in Koreanisch) System, 6 Si-Jin für die Nacht, 6 für den Tag. Aber das System war elastisch, im Sommer waren die Abschnitte für den Tag viel länger als im Winter. Dann kamen aber die Jesuiten, die den Kalender und eine andere Zeiteinteilung nach China brachten und diese richtet sich nur nach der Funktion und weniger nach dem Befinden der Menschen und der Natur.

KV: Diese Art von künstlerischer Arbeit ist nicht eindeutig einzuordnen – Konzept, Partizipation, Begegnung, Aktion: das sind nur einige Begriffe, die auf dieses Projekt zutreffen.
Kannst du dir, wie bei den Performances, vorstellen, dass du daraus eine weitere, andere Arbeit dieser Art realisierst? Oder steht dieses Projekt für sich, ist abgeschlossen?

KC: Ich kann mir sehr gut vorstellen, diese Arbeit auch noch an einem anderen Ort zu realisieren. Ich suche aber nicht aktiv neue Orte, oder Städte, das wäre zu beliebig. Es sind ja immer andere Menschen, die teilnehmen und einen Dialog mit sich und Anderen aufnehmen wollen, deshalb kann ich ein solches Projekt oder eine Performance immer wieder realisieren - sie wird immer anders und neu sein.